Das Märchen von der „dampfdichten Anschlussfugen-Abdichtung“

illbruck Planungsteam Bauanschluss / 04 April 2024

Das Märchen, dass die innere Abdichtung einer gewöhnlichen Fensteranschlussfuge unbedingt dampfdicht sein muss, hält sich bemerkenswert lange, obwohl es eigentlich technisch Unsinn ist.

Die Fugenabdichtung bedarf natürlich eines Augenmerks hinsichtlich des Feuchteverhaltens, damit sich keine Feuchtigkeit im Fugenraum anreichern oder gar stauen kann. Das würde dann auch im Extremfall zu Bauschäden führen können. Deswegen ist es wichtig, dass in den Fugenraum eindiffundierende Feuchtigkeit auch wieder nach außen entweichen kann. Der Dampfdiffusionsstrom ist im Normalfall (beheizte Räume) immer von innen nach außen gerichtet, also vom wärmeren zum kälteren Niveau. Feuchtigkeit wird also versuchen, von der Innenraumseite her in den Fugenraum zwischen Fenster und Laibung einzudringen.

Damit sich stets - bei fast jeder Anschlusssituation - ein ausgeglichenes Feuchteklima in der Anschlussfuge einstellen kann, hat man den Grundsatz „Innen dichter als außen“ geprägt. So kann Feuchtigkeit leichter nach außen entweichen, als sie von der Raumseite nachkommt. Mit dieser einfachen Regel wird auf jeden Fall sichergestellt, dass der Fugenanschluss „funktioniert“. Das bedeutet aber nicht, dass grundsätzlich nicht auch innen und außen gleich-dichte oder sogar außen leicht dichtere Abdichtungen als innen funktionieren können. Das hängt maßgeblich von der Beschaffenheit der flankierenden Bauteile ab - wie gut diese die Feuchtigkeit auch „neben der Fuge“ aufnehmen, puffern und auch wieder nach außen abgeben können. Das kann man anhand von Feuchteberechnungen sehr gut überprüfen.

Nachfolgend soll veranschaulicht werden, warum „innen dampfdicht“ – also mit einem sd-Wert von > 1500 m - zumeist nicht notwendig ist.

Nehmen wir an, wir haben ein Fensterprofil mit ca. 80 mm Bautiefe (das entspricht dem heutigen Standard). Dann dürfte der für die Dampfdiffusion relevante Wandbereich in etwa 120 mm sein (ca. 2 cm vor und hinter dem Fenster + Profiltiefe). Nun berechnen wir die sd-Werte verschiedener gängiger Wandtypen (relevanter Bereich von 120 mm). Die materialspezifischen Wasserdampfdiffusionswiderstandszahlen (µ-Wert) lässt sich der DIN 4108-4 Tabelle 1 entnehmen.

Wie daraus hervorgeht, liegen die meisten sd-Werte im einstelligen Bereich und teilweise sogar unter 1 m. Wenn man nun diese Werte mit der vermeintlichen Forderung nach der dampfdichten inneren Anschlussfugenabdichtung (also sd-Wert größer 1500 m) vergleicht, stellt man schnell fest, dass das keinen Sinn ergibt, denn der Wasserdampf würde ohnehin durch die Fensterlaibung an der Abdichtung vorbeigehen.

Selbst wenn man hier den sd-Wert von der gesamten Wandkonstruktion einsetzen würde, ergäbe die Forderung nach dampfdichter Anschlussfugenabdichtung keinen Sinn.

Beispiel:

15mm Innenputz sd=0,15 m
240mm Beton sd= 36 m
200mm Dämmung sd=20 m
15mm Außenputz sd=0,52 m

sd gesamt = 56,67 m, also viel, viel kleiner als 1500 m

Es mag sicherlich Konstruktionen geben, bei denen kein Feuchteausgleich durch den Fensteranschluss stattfinden kann. Das wäre z. B. bei geschlossenen Metallfassaden so, die nach außen hin nicht hinterlüftet sind. Dann ist es natürlich wichtig, möglichst keine Feuchtigkeit in die Konstruktion zu lassen, da diese nicht mehr nach außen durch die Metallschicht entweichen kann. Somit wäre auch die Anschlussfuge entsprechend zu behandeln. Nur dann, wenn die Konstruktion so beschaffen ist, ergibt eine diffusionsdichte Innenabdichtung (sd-Wert > 1500 m) eher Sinn (entsprechend dampfdichtes Laibungmaterial vorausgesetzt). Dieser Fall dürfte mittlerweile allerdings eher die Ausnahme sein, denn die meisten Fassadenkonstruktionen werden so geplant, dass ein Feuchteausgleich möglich ist (Hinterlüftung mit mind. 2 cm Luftschicht entsprechend den anerkannten Regeln der Technik). Siehe z.B. Leitfaden zur Montage von Vorhangfassaden "Planung und Ausführung der Montage für Neubau und Renovierung" der RAL oder die neue Leitlinie des FVHF (Fachverband vorgehängter hinterlüfteter Fassaden) von 2021.

Das Risiko, mehr Feuchtigkeit in die Konstruktion zu lassen, als nach außen entweichen kann, würde man als Planer oder Konstrukteur nicht freiwillig eingehen.

Es dürfte nun leicht ersichtlich sein, dass die vermeintliche Forderung „innen muss dampfdicht abgedichtet werden“ (sd-Wert > 1500 m) meist keinen Sinn ergibt.

Es ist, als würde man mit einem Pflock einen Fluss aufhalten wollen.

"Es geht sowieso alles daran vorbei ..."